Prof. Dr. Dr. Michael Lehofer
Facharzt für Psychiatrie und Neurologie; klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe und Psychotherapeut; Ärztlicher Direktor des Landeskrankenhauses Graz
Trauer braucht Zeit und Mut (Zusammenfassung)
Der Philosoph und Psychotherapeut Michael Lehofer beschreibt zu Beginn seines Beitrags, warum uns das Abschiednehmen so schwerfällt. Und das betrifft nicht nur den Abschied von einem geliebten Menschen, der verstorben ist. Es geht um all das, was uns verlorengehen kann – Dinge genauso wie ein lang gehegter Wunsch, die Gesundheit oder das aktuelle Selbstbild. Das zu einem Verlust adäquate Gefühl ist die Trauer. Sie macht vielen Menschen Angst, da sie mit Hilflosigkeit verbunden ist und unseren Grundbedürfnissen nach Selbstwirksamkeit und Verbundenheit entgegenwirkt. Die gute Nachricht ist, dass diese Grundbedürfnisse am Ende des Trauerprozesses wieder befriedigt sind. Im Folgenden führt Lehofer aus, was im Trauer- prozess passiert, was wir dabei lernen und welche Chancen er in sich birgt. Wenn wir trauern, gehen wir intensiv in Kontakt mit dem, was verloren gegangen ist; dadurch sind wir aber zugleich besonders konfrontiert mit dem Verlorengegangenen und entwickeln peu à peu eine neue Identität – ohne das Verlorene. Wir lernen, ohne das zu leben, was bisher unverzichtbar erschien. Aber dieser Prozess braucht Zeit und Mut. Hilfreich ist auch das, was dabei hilft, mit dem Verlorengegangenen in Berührung zu treten. Das ist der Grund dafür, dass Gräber als Trauerort für viele Hinterbliebene sehr wichtig sind. Hier sind sie dem Verstorbenen besonders nah, hier können sie ihre Trauer, Liebe und Sehnsucht ausdrücken. Mit der Zeit wandelt sich durch die Interaktion die Beziehung. Voraussetzung dafür ist, dass die Trauerhandlungen und -rituale nicht durch Verbote und Vorschriften untersagt sind.
Und wohin führt der Trauerprozess? Laut Lehofer ist die Trauer unverzichtbar, um wieder zur Lebendigkeit zurückzukommen. Ohne angemessene Trauer würden wir erstarren. Abschiede sind – wie der Titel besagt – der goldene Weg zur eigenen Freiheit. Und wir verstehen, dass Freiheit nicht die Freiheit von Möglichkeiten, sondern die Freiheit von Ängsten ist.